dream on two wheels

Tierra del Fuego: von Punta Arenas nach Ushuaia (9.5.-18.5.17)

"Werden wir jemals in Feuerland ankommen?" Eine Frage die wir uns  oft in den letzten 22 Monaten gestellt habe. Nicht weil wir dachten das wir es nicht schaffen können sondern weil dieses Fleckchen Erde am "Ende der Welt" uns so unendlich weit weg vorkam. Ich erinnere mich an den 21.7.15 als wir alles hinter uns ließen und mit gepackten Rädern nach Frankfurt fuhren. Viel zu viel gab es am Vortag noch zu organisieren, die Nacht war daher viel zu kurz und dennoch, als wir die 80 Km im Taxi zum Flughafen fahren kribbelt mein ganzer Körper vor Aufregung. Immer wieder fluten kleine Mengen Adrenalin durch meine Gefäße und ich kann es förmlich schon spüren...den Hauch vom Abenteuer. Auch hier stelle ich mir die Frage "Werden wir jemals ankommen?" Wenn ich nun zurückblicke kann ich mit Sicherheit sagen das wir nie daran gezweifelt haben. Einzige Ausnahme vielleicht war des verrückten Ehepaars das wir auf dem Wal-Mart Parkplatz in Prince George getroffen haben welche uns prophezeite das wir Argentinien nie erreichen würden da vorher die Welt unterginge. Eines kann ich schon mal getrost sagen. Die Welt ist noch da und wir sind in Ushuaia, der südlichsten Stadt Argentiniens angekommen. Aber fangen wir doch am Besten von Vorne an. Keine Angst, nicht in Alaska aber zumindest bei unserer letzten Etappe "Feuerland".

Um nach Feuerland zu kommen müssen wir von Punta Arenas aus mit der Fähre nach Porvenir übersetzen denn Feuerland ist eine Inselgruppe und ist vom Festland durch die Magellanstraße getrennt. Wie in Patagonien verläuft auch auf Feuerland die Grenze zwischen Chile und Argentinien die wir auf dem Weg nach Ushuaia einmal überqueren müssen.

Wir setzen mit der Fähre auf die Hauptinsel über die "Isla Grande". Feuerland wurde 1881 in einen östlichen Teil für Argentinien (Provinz Tierra del Fuego) und einen westlichen Teil für Chile (Region Magallanes) unterteilt. Wir radeln zunächst im chilenischen Teil weiter. Die Fährfahrt über die Magellanstraße dauert 3 h und als wir die Fähre um 9:00 betreten geht gerade erst die Sonne auf.

Fähre von Punta Arenas nach Porvenir auf Feuerland, Ferry from Punta Arenas to Porvenir (Fireland)

Als der Entdecker Magellan mit seiner Besatzung im Jahr 1520 die Magellanstraße entdeckte sichteten sie im Süden der Meerenge so viele Lagerfeuer das sie das Land entsprechend "Tierra deö Fuego", Land des Feuers nannten. Vor allem vor dem Bau des Panamakanals hatte die Magellanstraße, die heute zum chilenischen Hoheitsgebiet gehört, eine  große Bedeutung als Verbindungsstraße zwischen dem Atlantischen und dem Pazifischen Ozean und ermöglichte Jahrhunderte zurück vor allem die zügige Besiedlung der westlichen Küste Südamerikas.

Die Schiffe die heute die Magellanstraße überqueren haben sicherlich kaum noch etwas gemein mit den riesigen Segelschiffen aud kolonialen Zeiten. Unsere Fähre lässt sich kaum von Wind und Wellen beeindrucken, die moderne Kaffeebar mit Tresen bietet alles an vom Vanille-Cappuccino bis zum Latte Macchiato und im gut gefüllten Salon der Fähre sitzen die meisten Passagiere und beschäftigen sich mit Mobiltelefonen, Pads, Laptops und MP3 Playern. Ich gehe kurz hinaus in die eisige Luft auf das Deck. In der Ferne kann man bereits Feuerland sehen. Feuer brennen keine aber irgendwie kommt hier wieder einmal dieses Kribbeln auf. Ich versuche mir vorzustellen was wohl Magellan und seine Männer empfunden haben müssen als sie vor fast 600 Jahren hier entlang segelten. Ungewissheit? Freude? Angst? Ich knipse einige Fotos. FEU-ER-LAND sage ich mir in Gedanken noch einmal langsam und obwohl unsere Fährfahrt wohl kaum etwas mit den rauen Bedingungen von damals gemeinsam hat fühle ich mich ein wenig wie eine Entdeckerin...FEU-ER-LAND... Jetzt liegt es direkt vor uns, wir müssen es nur noch erobern!

Porvenir

Hinter der Stadt Porvenir beginnt sie auch schon, die endlose Weite Feuerlands. Anstelle der Küstenstraße haben wir uns für die Schotterpiste entschieden. Die Piste führt uns in unendlichen Kurven und Hügeln hinauf zu einem wunderschönen Aussichtspunkt. Bereits nach wenigen Kilometern kommt uns ein gigantischer Viehtrieb entgegen. Es handelt sich um eine riesige Schafherde begleitet von mehreren Reitern und Autos. Es müssen an die dreitausend Tiere sein die vom weiten ähnlich aussehen wie ein sich fließend bewegender Sardinenschwarm im Meer. Wir bleiben einfach stehen und beobachten das Spektakel. Sobald die Schafe uns entdecken strömen sie in scharen blökend an uns vorbei. Immer unter dem wachsamen Auge der mindestens 20 Hütehunde. Als die Herde nach mehrere Minuten an uns vorbei ist folgt ihr ein Pickup auf dessen Ladefläche ein einzelnes Schaf steht. Konnte vor lauter Wolle im Gesicht nichts mehr sehen erklärt der Schäfer Niki lachend und drückt ihr eine Handvoll abgeschnittener Wolle in die Hand.

  Es ist kalt,, bewölkt aber trocken.  Trotzdem muss hier ziemlich viel in den letzten Tagen geregnet haben denn auf einigen Abschnitten verwandelt sich die Piste in einen lehmig-matschige Albtraum. Der Matsch klebt so hartnäckig an unseren Bremsbacken, Schutzblechen und Reifen das irgendwann alles blockiert. Niki und Philip entscheiden sich kurzerhand die hinteren Schutzbleche abzumontieren, Radko und dich tragen nach und nach alle unsere Taschen und anschließend die Räder den letzten Abschnitt vom Berg hoch und wir nutzen die riesigen Pfützen am Wegesrand so oft es geht zum Abwaschen der Felgen und Bremsen.

finally fireland, endlich auf Feuerland

we cycle through a hige sheep herd, wir radeln durch eine riesige Schafherde

it is pretty muddy, es ist ziemlich matschig

Als wir wieder auf die Hauptstraße stoßen entpuppt sich diese ebenfalls als nicht asphaltiert aber dennoch in einem super festgefahrenen Zustand. Wir schaffen noch einige Kilometer bis die Sonne so tief steht das es an der Zeit wird einen Zeltplatz zu finden. Finden wäre eigentlich übertrieben zu sagen denn wir können unsere Zelte einfach auf dem breiten Grasstreifen neben der Straße aufstellen. Auch auf Feuerland ist der Hauptteil der Landschaft eingezäunt. Die riesigen Weideflächen gehören zu den vielen Estancias (Bauernhöfe) deren Schilder an den Zufahrten an der Straße aufgestellt sind. Die Häuser an sich sehen wir selten oder wenn dann nur in weiter Ferne. Jetzt, Mitte Mai im Spätherbst verwandelt sich der Himmel jeden Abend und jeden Morgen in ein feuriges Spektakel. Der Horizont und die Wolken scheinen förmlich zu glühen und durch die auch am Mittag nur tief stehende Sonne wird die unendliche Weite der Landschaft in ein goldenes und warmes Licht getaucht...

Die erste Nacht schlagen wir unsere Zelte gegenüber einer alten Goldmiene auf und die zweite Nacht in der Nähe der Estancia Janette Maria. Mit dem verschwinden des letzten Hauches Lichts gehen auch wir in unsere Zelte. Der Himmel klart auf. Es wird eine kalte Nacht werden. Am Himmel funkeln bereits die ersten Sterne und noch hinter einer Wolke  versteckt geht der riesige Vollmond auf.

hoffentlich die richtige Richtung...hopefully the right direction...

Camping next to the road with spectecular sunsets, zelten neben der Straße mit spektakulärem Sonnenuntergang

Sunrise, Sonnenaufgang

wir sehen viele Schilder die auf Estancias hinweisen aber die Häuser sind Kilometer weit entfernt, We see a lot of sighns pointing out "Estancias" but they are all many miles away from the road

near/Nähe Estancia Maria sunset

Als wir am nächsten Morgen aufstehen sind der Boden und unsere Zelte gefroren. Die Zeltabdeckung bleibt nach dem Anheben einfach in der Luft stehen. In der Kälte benötigen wir doppelt so lang für alles als bei warmen Temperaturen. Alleine das Anziehen aller Bekleidungsschichten dauert seine Zeit...T-Shirt, langes Merino Shirt, Fließpulli, Daunenjacke und darüber die Windjacke, lange Skiunterhose, Leggins, Regenhose als Windschutz drüber, zwei paar Socken, Mütze, zwei Halstücher, Handschuhe. Das Ganze für zwei Personen im drei Quadratmeter kleinen Zelt. Wenn die Sonne scheint und wir Rückenwind haben kommt es schon mal vor das wir das meiste nach und nach beim Radfahren wieder ausziehen...um es in der Pause sofort wieder anzuziehen. Wenn wir alle unsere Sachen anhaben fühlen wir uns wie ein aufgeblasenes Michelin Männchen und unsere Hinterradtaschen sind fast leer. Trotzdem empfinden wir Feuerland ziemlich bald als eine der besonders schönen Abschnitte der Reise. Die Farben des Lichtes, die Schönheit der endlosen Weite und die Vorfreude bald am "Ende der Straße" angekommen zu sein lassen uns manchmal glasige Augen bekommen und während wir beim Radfahren in die Ferne blicken huscht uns das eine oder andere Mal unkontrolliert ein Lächeln über die Lippen...

next morning everything id frozen, am nächsten Morgen ist alles gefrohren

next Morning the Moon sets, am Nächsten Morgen geht der Mond unter...

...and the sun rises at about 9:00, ... und  die Sonne geht auf gegen 9:00 morgens

Wir biegen von der Hauptstraße ab um dem "Parque Pinguino Rey", einer Königspinguinkolonie einen besuch abzustatten. Die Königspinguine sind nach den Kaiserpinguinen die zweitgrößte Pinguinart und sind zwischen 85-95 Zentimeter groß und waren eigentlich in Patagonien gar nicht mehr zu finden. Die Tierärztin der Pinguinstation erzählt uns dass sich erst im Jahr 2005 aus noch ungeklärtem Grund eine kleine Gruppe Pinguine von ca. 70 Tieren hier angesiedelt habe, derzeit die einzige Königspinguinkolonie auf Feuerland. Der Park ist privatisiert und kostet umgerechnet 10 Euro Eintritt. Dafür erhalten wir eine Einführung in die Welt der Pinguine und ein Fernglas zur Beobachtung ausgeliehen. Die Zahl der anwesenden Tiere schwankt täglich. Heute sind 60 Tiere anwesend, ein Großteil davon sind Jungtiere im braunen Gewand. Wir können die Pinguine durch einen befensterten Zaun beobachten. Der Zaun soll verhindern das sich die Tiere durch die Bewegungen der Touristen gestört fühlen.

Nach zwei Stunden im eisigen Wind sind wir restlos durchgefroren aber begeistert. Wir unterhalten uns noch kurz mit dem Parkranger. Es ist bereits halb fünf und die Sonne geht unter. Es gäbe zwei Möglichkeiten für uns zu übernachten. Zwei Kilometer weiter Südlich habe die Station eine Hütte für Radfahrer gebaut wo wir inklusive Kaminofen umsonst schlafen könnten. Die zweite Möglichkeit ist eine ähnliche Hütte 15 Kilometer zurück an der Kreuzung zur Hauptstraße die von der Region ebenfalls für Radfahrer aufgestellt wurde. Wir nehmen die zweite Variante denn  wir müssen eh zur Hauptstraße zurück. Die Hütte ist zwar nicht beheizt aber bietet guten Windschutz. Wir fegen durch und schlafen auf unseren Matten auf dem Boden. Als wir bereits in den Schlafsäcken liegen klopft es an der Tür. Eine Familie aus dem nächsten Ort hat gehört das wir hier übernachten und wollen fragen ob wir etwas benötigen. Wir bedanken uns aber brauchen eigentlich nichts...na gut...das sechser Pack Bier können die Männer nicht ausschlagen und eine Packung Mozzarella Käse wollen wir aus Höflichkeit nicht ablehnen. Während die netten Argentinier schnell in der Kälte eine Zigarette rauchen wollen wir wissen ob sie auf der Durchfahrt seine. Nein, nur gucken ob wir etwas bräuchten ist die Antwort und wieder einmal sind wir überwältigt von der Freundlichkeit und Gastfreundschaft der Menschen hier   in Patagonien!

We visit a Colony of King Pinguins, wir besuchen eine Königspinguin Kolonie 110 Km vor Rio Grande

after visiting the Pinguins we cycle 15 Km to the intersection were we can sleep in a Little house that was buils by the community for cyclists, nach dem Besuch bei den Pinguinen übernachten wir in einer 15 Km entfernten kleinen Hütte die von der Ortsgemeinschaft für Radfahrer dort erbaut wurde

Von der Kreuzung bis zur argentinischen Grenze sind es nur 43 Kilometer. Dennoch bleiben  wir in dem kleinen Hotel direkt am chilenischen Grenzposten denn nichts geht mehr. Nicki hat Kreuzschmerzen, ich von der Haltung auf dem Rad gemeine Schmerzen in der Halswirbelsäule und Radko plagt schon seit Tagen eine fiese Erkältung. Der einzige der mit aller Kraft versucht die Motivation aufrechtzuerhalten und immer ein aufmunterndes Wort bereit hat ist Philip. Jetzt wollen wir alle nichts lieber als eine überheizten Raum, eine warme Matratze und eine endlos lange heiße Dusche. Alles das bekommen wir hier und die Entscheidung ist schnell gefallen. Raus aus dem eiskalten Wind, Argentinien kann auch noch bis morgen warten. Nachdem Nikis und mein kleiner Reisevorrat an Schmerztabletten aufgebraucht ist machen sich Philip und Radko kurzer Hand auf Medikamentensuche. Die Hilfe kommt unerwartet aber schnell.  Der chilenische Grenzbeamte  zieht kurzerhand die Schublade unter dem Zolltresen auf und reicht den beiden  überraschender Weise  einen Streifen Voltaren- und Ibuprofentabletten und wir fühlen und bald darauf fast königlich bei "all dem Luxus"

wir überqueren wieder die Grenze nach Argentinien (San Sebastian), we cross borders to Argentina again in San Sebastian

Die Grenze ist unkompliziert überquert. Einzig essenstechnisch haben wir uns diesmal ein bisschen verkalkuliert und müssen bei der Mittagspause an der Grenzstation zu Argentinien ziemlich reinhauen um die ganzen verbotenen Nahrungsmittel aufzuessen. Zwischen der grenze und Rio Grande kommt nichts mehr und wir wollen heute noch so weit wie möglich Richtung Stadt fahren. Der Wind steht nicht schlecht aber es ist bereits 13:00. Wir treten rein und fahren immerhin noch 60 Kilometer. Nach zwei Stunden Fahrzeit beginnt es heftig zu regnen. Egal, wir wollen weiter in der Hoffnung ein Dach über dem Kopf bzw, Zelt zu finden. Als wir bei einem "Land Club" beim Pförtner nachfragen werden wir kurzerhand von Fabian auf die Estancia Violeta eingeladen wo er wohnt. Als wir auf der Estancia ankommen ist es bereits dunkel. Die Anlage ist kein Bauernhof sondern eine riesige Industrieanlage und das Haus das Fabian bewohnt winzig. Wir könnten die Zelte vor dem Haus aufstellen. Es ist mein persönlicher Reisealbtraum. Wir hatten alle insgeheim auf einen Unterstand oder eine Garage gehofft aber nichts dergleichen ist vorhanden. Wir müssen die Zelte im strömenden Regen aufbauen, sind alle bis auf die Unterwäsche nass und es ist saukalt und stürmisch. Alles dauert beim Aufbauen zudem noch länger wegen des heftigen Sturms. Bis alles fertig ist  bereits das Innenzelt feucht, die Matten partiell nass und wir tropfen aus allen Nähten. Fabian, der 48 ist, und eigentlich aus Buenos Aires stammt hat sich hier niedergelassen weil er in Patagonien mehr verdiene und die lebensunterhaltungskosten viel niedriger sind als in der Großstadt. Das kleine Haus bewohnt er zusammen mit seinem Yorkterrier. Er läd uns in seine gut beheizte Küche ein und ehe wir uns versehen steht vor jedem von uns eine Schale Milchschaum in den er frisch gebrühten Kaffee reingießt sowie Brot, süße Creme und Kuchen. Fabian besitz eine dieser Maschinen die wie ein Wasserkocher aussehen aber in schier unendlichen Mengen Milchschaum produziert. Ich werde diesen Kaffee ganz sicher nie vergessen. Eine Stunde später kriechen wir immerhin mit wieder halbwegs trockenen Klamotten in die Zelte denn Fabian hat noch eine Verabredung. Der Sturm nimmt immer mehr zu und rüttelt an den Zeltwänden. Es regnet immer noch in Strömen und jetzt bereue ich die zweite Tasse Kaffee denn meine Blase ist inzwischen mehr als voll. Mist! Bei dem Sauwetter nochmal aus dem Zelt, da habe ich gar keine Lust zu. Ich konzentriere mich auf etwas anderes in der Hoffnung einzuschlafen aber es funktioniert nicht. Irgendwann nimmt der regen ein wenig ab und ich überwinde mich aus dem Zelt zu klettern.

Als wir am nächsten Morgen aufwachen regnet es immer noch aber der Sturm hat nachgelassen. Wir haben nur noch 20 Kilometer bis Rio Grande und sitzen den regen einfach aus. Fabian beglückt uns ein weiteres mal mit seiner Gastfreundschaft und endlosem Milchschaumfilterkaffee und es ist bereits Samstag Mittag als wir uns in einer Regenpause von Fabian und seinem Hund Ricardo verabschieden.

erstes Hinweisschild für Ushuaia, first Roadsighn for ushuaia

Guanacos everywhere, überall entlang der Straße sehen wir die scheuen Guanacos

Rio Grande

Rio Grande ist die größte Stadt im argentinischen Teil Feuerlands und nicht besonders anheimelnd. Dennoch legen wir einen Pausentag ein denn in der Kälte Fahrrad zu fahren kostet irgendwie mehr Kraft als gewohnt. Wir alle haben bereits unsere Rückflüge von Punta Arenas aus nach Santiago gebucht aber es bleibt noch genügend Zeit für einen Ruhetag. Niki und Philip werden ihre Reise in Peru fortsetzen und wir nach einem Zwischenstopp auf den Osterinseln in Neuseeland. Das Hostal in Rio Grande ist nahezu wie ausgestorben. Neben uns gibt es nur eine Handvoll weiterer Gäste. Eine kleine Theatergruppe aus Buenos Aires die von der örtlichen Regierung beauftragt wurde Theaterstücke für Kinder aufzuführen.

Eigentlich hatten wir immer gedacht spätestens im Januar in Ushuaia anzukommen. Hätte uns vor zwei Jahren jemand gesagt das wir Ende Mai im patagonischen Spätherbst/Winter auf Feuerland Fahrrad fahren werden hätten wir das für unmöglich gehalten. Erstens weil wir dachten viel schneller zu sein und zweitens weil wir das Wettertechnisch für unmöglich gehalten hätten. Inzwischen haben wir Gefallen an der Nebensaison gefunden. Die Unterkünfte und Nationalparks sind weitestgehend leer, die Preise niedrig und das Wetter überraschend "mild". Wer weis, vielleicht werden wir unsere Meinung noch einmal ändern denn auch in Neuseeland werden wir im dortigen Winter Radfahren, aber insgeheim hoffen wir auf ähnliche Bedingungen.

Von Rio Grande erscheint es nach so viel tausenden gefahrenen Kilometern nur noch ein Katzensprung nach Ushuaia zu sein. Seit der argentinischen Grenze erscheint auch der Ortsname regelhaft auf den Straßenschildern und  der Count down läuft quasi wie von allein. Unsere nächste Station ist nach 113 Kilometern bei wunderbarem Rückenwind die örtliche Bäckerei im Dorf Toluin. Diese ist dafür bekannt Radfahrern und Backpackern kostenlose Unterkunft zu geben. Zwanzig Kilometer vor dem Ort hält neben uns die Chefin persönlich die uns noch einmal daran erinnert das wir auf jeden Fall bei ihnen übernachten dürften. Als wir ankommen ist es bereits dunkel und wir stärken uns erst einmal bei Kuchen und heißer Schokolade in der riesigen Bäckerei. Die Auswahl ist gigantisch. Kuchen, selbstgemachte Schokolade und Pralinen, Empanadas (gefüllte Teigtaschen) mit so viel unterschiedlichen Füllungen das man schier an der Auswahl verzweifeln könnte und und und...

Hinter der Backstube gibt es einen Raum mit drei Betten. Die Wände sind mit unzähligen Bildern und Widmungen von Radfahrern aus der ganzen Welt geschmückt.  Da der Raum bereits von anderen Reisenden belegt ist schlagen wir unser Matratzenlager im Fitnessraum auf.

Am kommenden Tag sitzen wir mal wieder morgendlichen Regen aus aber der Wetterbericht verheißt einen Wetterumschwung gegen Mittag und auf den ist ausnahmsweise verlass. Die meisten Radler fahren wahrscheinlich von Toluin die etwas mehr als hundert Kilometer in einer Etappe aber das wollen wir gar nicht. Am späten Nachmittag erreichen wir die ziemlich einsam an der Straße gelegene  Restaurantanlage an der Laguna Verde. Philip fragt den Restaurantbesitzer nach einem Platz zum übernachten und auch noch die letzte Nacht vor Ushuaia glänzen die Menschen hier durch ihre Hilfsbereitschaft. Hinter dem Restaurant auf einem kleinen Hügel gelegen stehen mehrere bunte Holzhütten die gerade zum vermieten ausgebaut werden. In einer der Hütten mit Holzofen und Betten dürfen wir umsonst übernachten. Der nette Restaurantbesitzer bringt uns sogar noch Feuerholz damit wir warm über die Nacht kommen und als wir uns alle gerührt bedanken schüttelt er den Kopf und sagt: "ach klein Problem, man hilft doch gerne wo man kann"!

zwischen Toluin und Ushuaia

we are allowed to sleep in one of the small houses at the Laguna Verde 66 Km North of Ushuaia, wir dürfen 66 Km vor Ushuaia in einer der kleinen Hütten an der Laguna Verde übernachten

Die Nacht ist eher kurz und meine Laune sehr mäßig als der Wecker noch vor Sonnenaufgang am nächsten Morgen klingelt. Philip der unerschütterliche "Problemlosemorgenaufsteherundpfeiper" versucht meine Laune zu verbessern indem er lautstark gute Laune Musik im Nachbar Zimmer anmacht und Mitsingt aber wer von Euch genau so ein Morgenmuffel ist wie ich der weis wie schlimm DAS vor dem ersten Kaffee ist...Ach ja, es ist der 18. Mai 2017 UND heute ist DER Tag. Heute werden wir nach fast auf den Tag genau 22 Monaten in der südlichsten Stadt Argentiniens ankommen. Also Kaffee, schlechte Laune verbannen, Schlaf aus den Augen reiben, eisige Luft tief einatmen, herrlichen Sonnenaufgang bewundern und Los geht`s.

Ach ja, ein letzter Pass muss noch überwunden werden, nein, kein Schertz es gibt sogar ein Passschild " Paso Garibaldi" aber der ist glücklicher Weise nur um die 500 Meter hoch. Auf dem Weg zum Pass wir die Landschaft immer schöner. Die tiefstehende Sonne verwandelt alles in ein sanftes, warmes Licht das jedem Fotographen die Tränen in die Augen treibt und als wir auf einem kleinen Parkplatz eine Pause machen gesellen sich zu unserer Faszination 4 neugierige Füchse zu uns...

Sunrise Laguna Verde, Sonnenaufgang über der Laguna Verde

bei der Weiterfahrt treffen wir auf einem Parkplatz auf 4 Füchse, 4 Foxes on a Parking lot

Auf den sechs Kilometern zum Gipfel fahren wir nach und nach in eine dichte Nebelsuppe. Die Temperatur fällt merklich und nach dem obligatorischen Passfoto ziehen wir alles an was geht damit wir auf der Abfahrt nicht auskühlen. Die ist leider steiler und somit kürzer als erhofft und kaum sind wir wieder aus dem Nebel müssen wir uns auch schon mit einem heftigen Gegenwind plagen. Wo kommt der denn auf einmal her frage ich mich?

Die Kilometer wollen einfach nicht vergehen, irgendwie ist die Luft raus und ich überlege für einen Bruchteil der Sekunde ob ein Auto das mich die letzten Kilometer mitnimmt nicht eine gute Lösung sei. Dann kullern doch noch ein paar Tränen aber Radko schafft es wie immer mich auch noch am letzten Tag auf der Panamericana zu motivieren und wieder zum Lachen zu bringen und natürlich gibt es keinen Transport im Auto. Kurz nach der kleine "Kriese" fahren wir um eine Kurve. Es sind noch 15 Kilometer bis Ushuaia (denken wir) aber plötzlich ändert sich die Wiundrichtung und wir fliegen quasi dahin. Wie geht das denn??? Ein Wunder??? Nein der Anordnung der Berge und der Kurve sei Dank!

Plötzlich sehen wir die Bucht. DIE Bucht von Ushuaia. Von der Stadt ist noch nichts zu erkennen aber über der Bucht fliegen hunderte von Vögel, ein gigantisches Bild das ich unbedingt mit dem Fotoapparat festhalten möchte. Ich ziehe wie gewohnt die Bremse und da passiert es. Mein Vorderrad blockiert komplett auf dem schlammigen Seitenstreifen und ich fliege im hohen Bogen über den Lenker auf den Asphalt. Dank Helm und jeder Menge Kleidungsschichten passiert mir nichts aber der Schreck ist groß. Radko kommt mir zur Hilfe und hebt mich und mein Rad wieder auf die Beine. Noch 5 Kilometer bleiben bis Ushuaia als ich zitternd voll Adrenalin gepumpt wieder auf mein bepacktes Rad steige. Wir radeln in die direkt vor uns liegende Kurve und ..... dort steht es plötzlich und noch vollkommen unerwartet: Ushuaia. Wo kommt das Schild denn auf einmal her fragen wir uns aber wir haben die Berechnung ohne die Länge der Stadt gemacht. Fünf Kilometer fehlen uns noch bis zur Stadtmitte aber wir sind hier bereits angekommen, in Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt, dem "Fin del Mundo" (Ende der Welt).

Ich bin so überrascht und vom Sturz mitgenommen das ich ein wenig perplex vor dem Schild stehe. Niki und Philip warten schon verwundert auf uns und halten mir grinsend die Flasche Hochprozentigen vor die Nase. Ich nehme einen tiefen Schluck. Als der Alkohol meinen Magen erwärmt realisiere ich erst das wir es geschafft haben. Wir sind von Alaska mit dem Rad nach Feuerland geradelt. Wir fallen uns alle erschöpft in die Arme, knipsen aufgeregt Bilder und saugen diesen besonderen Moment in uns auf.

view from the top of the Paso Garibaldi, Blick vom Gipfel des Passes Garibaldi

der letzte Pass in Lateinamerika 60 Km vor Ushuaia, our last Pass in Latinamerica

noch ca. 40 Kilometer bis Ushuaia, about 40 Km to Ushuaia

18.5.2017 um 16:00

Als wir in die Hafenstadt rollen ist es gegen 16 Uhr. Es ist noch hell und wir haben einen schönen Blick auf die von Bergen und Gletschern umgebene Stadt am Beagel Kanal. Auf der anderen Seite des Kanals liegt die zum chilenischen Teil Feuerlands gelegene Insel Navariño mit dem Ort Puerto Williams. Beide Städte konkurrieren die südlichste Stadt der Welt zu sein und da Puerto Williams zwar südlicher liegt als Ushuaia aber nach dem chilenischen Recht keine Stadt sondern ein Dorf ist gewinnt Ushuaia und wir befinden uns somit in der offiziell südlichsten Stadt der Welt. Nach einem kurzen Stopp bei der Touristeninformation suchen wir die Unterkunft der Familie Velasques. Philip hat hier bereits auf seiner Patagonien-Radtour vor einigen Jahren übernachtet und wir finden sofort gefallen an dem rüstigen alten Herren und dem gemütlichen alten Haus. Heute wollen wir nur noch eines, anstoßen und schlafen!

Blick über Ushuaia

der Hafen, the harbour

Da wir alle Flüge aus Punta Arenas in Chile haben wollen wir ach gemeinsam dorthin zurück fahren. Am liebsten mit der Fähre die alle drei Tage von Puerto Williams aus in einer 33 stündigen Fahrt dort hin fährt. Bleibt nur ein Problem: wir müssen mit einem Boot über den Beagel Kanal nach Puerto Williams übersetzen und das lassen sich die Argentinier gut bezahlen. Die 45 minütige Fahrt soll fast so viel kosten wie die lange Fährfahrt und übergesetzt wird erst ab 5 Personen, bzw. 5 bezahlten Tickets. Nach langem Überlegen teilen wir uns das fünfte Ticket zähneknirschend zu viert. Wir sind ja nur einmal hier und das Wetter soll sonnig sein und die Fährfahrt durch die Insellandschaft sicherlich ein einmaliges Erlebnis.

Wir verabreden uns mit dem Kapitän für neun Uhr am nächsten Morgen. Als wir zur ausgemachten Zeit am Hafen stehen ist von Fernando weit und breit nichts zu sehen. Nach einem Telefonat wissen wir bescheid, kleine Verspätung und ein Problem mit dem wir nicht wirklich gerechnet haben...der Hafen ist wegen des starken Windes gesperrt, sprich es dürfen keine Boote auslaufen. Er will zwei Stunden abwarten, eventuell  lege sich der Wind nach Sonnenaufgang. Wir setzen uns in die bereits geöffnete Touristeninformation und warten. Ich checke die Wetter- und Windprognose auf dem Onlineportal "Windguro" aber laut deren Prognose nimmt der Wind eher noch zu und genau so ist es. Wir können nicht übersetzen und damit auch nicht die Fähre nehmen denn die nächste Fähre fährt erst in drei Tagen und das ist zu knapp mit unseren Flügen.

Wir checken also wieder beim überraschten Señor Velasques ein und organisieren uns Bustickets für den 21. Mai nach Punta Arenas. Bleibt also noch genug Zeit ein wenig durch die Stadt zu schlendern und das eine oder andere Stück Torte zum Feiern zu genießen. Apropos Feiern, meinen Geburtstag feiern wir damit übrigens auch noch am 20. Mai in Ushuaia, also Prost!

Das offizielle Schild im Zentrum der Stadt

Inzwischen sind einige Tage vergangen. Wir sind wieder im ziemlich leeren Hostal Independencia in Punta Arenas und während ich dies hier schreibe schneit es in dicken Flocken und alles verwandelt sich gerade in eine weiße eiskalte  Zuckerlandschaft. Es ist der 26. Mai aber würde uns jemand sagen das heute der erste Advent sei würden wir es problemlos glauben.

Niki und Philip sind gestern nach Santiago und weiter nach Lima geflogen und der Abschied ist uns allen schwer gefallen. Nach so vielen Monaten gemeinsamen Reisens hatte sich irgendwie ein extrem netter Radalltag eingeschlichen den wir ordentlich vermissen werden. Unsere alltäglichen Kochduelle, ausgedehnte Mittagspausen mit Kaffee und Spiegeleibrötchen, Nächte bei tollen Gesprächen am Lagerfeuer unter dem Kreuz des Südens sind nur einige der Dinge die wir mit den beiden genossen haben. Erinnerungen die für immer in unseren Herzen sein werden, ein gemeinsamer Traum die Panamericana zu radeln den wir schöner nicht hätten teilen können!

Sind wir traurig das die Panemricana nun "zu Ende" ist? Nein ganz bestimmt nicht. Wir sind glücklich diesen Teil der Reise gesund und voller Erinnerungen  erlebt haben zu dürfen. Dankbar für unsere intensive und wunderschöne Zeit zu zweit aber auch all die Menschen die unsere Reise durch kleine und große Gesten zu dem gemacht haben was sie nun in unserer Erinnerung sein wird. Vielleicht sind wir auch ein bisschen stolz 23500 Kilometer mit dem Fahrrad gefahren zu sein aber das ist letztlich nur irgendeine Zahl! Ist es immer einfach gewesen? Nein! Die eine oder andere Träne sind bei mir gerollt wenn es mal wieder "zu bergig", "zu heiß" oder "zusonstwas" war. Trotzdem möchte ich keinen einzigen Tag der Reise missen. Die uns immer wieder gestellte Frage "was war denn nun das schönste Land der Panamericana?" können wir einfach nicht beantworten. Zurückblickend hätten wir vielleicht in dem einen oder anderen Land weniger oder mehr Zeit verbracht aber so wie es war sind wir mehr als zufrieden!

Wir freuen uns  das unser Radabenteuer hier noch kein Ende gefunden hat und wir die lieb gewonnene Freiheit, trotz des dann und wann aufkommenden Heimwehs nach Freunden und Familien, noch ein bisschen weiter genießen dürfen.  Für uns stand schon vor der Reise fest das es nicht nur bei der Panamericana bleiben wird und schon immer war einer unserer Favoriten Neuseeland um die Reise fortzusetzen.

Wir sehen uns also hier wieder :-)

Auf einem neuen Kontinent, einem neuen Abenteuer, neuer Energie aber dem gleichen Team, denn wie heißt es so schön: "never Change a running Team"!